Die größte linksradikale Demo des Landes war gestern voll im Gange – und die Polizei hat sich ziemlich zurückgehalten. Über die wilde Party, den Rap und Daniela Klette.
Der Südstern in Kreuzberg war der Start- und Endpunkt der Demo, die einfach mega war.
Foto: Sebastian Gollnow/dpa
Berlin taz | Gestern Abend ging die Revolutionäre 1. Mai-Demo in Berlin-Neukölln fast ohne Probleme zu Ende. Die Organisator:innen sprachen von über 30.000 Teilnehmer:innen – das war die größte Beteiligung, die es jemals bei der Demo gab, die seit 1988 an dem Tag durch Berlin zieht. Und es war wohl auch die friedlichste. Die Polizei meinte, dass es etwa 10.000 Teilnehmende waren.
Schon ab 16.30 Uhr gab es eine Party-Stimmung vor der Bühne am Südstern, auf der verschiedene Deutschrap-Crews auftraten, wie PTK und Sechser von Teuterecordz. Im Publikum, im Durchschnitt 20 Jahre alt, tanzten gut trainierte junge Männer, einige mit kommunistischen Jugendgruppen-Insignien, im Moshpit.
Es wurde ruhig auf dem Platz, als eine Rede von “unserer Freundin und Genossin Daniela Klette” angekündigt wurde, die “aus unerfindlichen Gründen nicht hier sein kann”. Ein Vermummter las die Grußbotschaft der Inhaftierten vor, in der Klette sagte: “Wirkliche Befreiung ist nur durch die Überwindung von Kapitalismus und Patriarchat zu erreichen.” Applaus brandete auf, als sie einen Stopp deutscher Waffenlieferungen nach Israel forderte. In Deutschland finde laut Klette “Sozialanbau zur Finanzierung der Militarisierung” statt. Doch es gebe “Mauern, die das Denken gefangen halten”. Schließlich sendete sie Grüße an linke Inhaftierte und sagte in Richtung ihrer untergetauchten Genossen der RAF: “Liebe und Kraft für Volker und Burkhard.”
Polizei nicht zu sehen
Um 18 Uhr war die Demo bereit loszumarschieren. Vorneweg war der antimilitaristische Block vom Bund der Kommunist:innen, dicht gedrängt und alle mit roter Fahne über der Schulter. Die meisten sehr jungen Genoss:innen vertrieben sich die Zeit mit dem Singen von Arbeiterliedern. “Seht ihr die Fahnen wehen” und die “Internationale” hallte über den Südstern. Vor dem Block posierten aufgestylte Party-Girls für ihre Insta-Storys.
Von einem Wohnhaus stiegen Raketen in die Höhe, was mit Applaus belohnt wurde. “Hoch die internationale Solidarität” hallte es aus dem roten Block. Kurdische Jugendliche riefen “PKK! PKK!” und hielten Banner mit dem Porträt von Öcalan hoch. Roter Rauch wehte aus dem Block. Erst um 18.45 Uhr setzte sich der Zug langsam in Bewegung.
Wie vorher angekündigt, hielt sich die Polizei, die mit etwa 3.000 Einsatzkräften vor Ort war, von Beginn an zurück, begleitete die Demo nur von vorne und von hinten und verzichtete auf ein seitliches Spalier. Vermummung und Pyrotechnik wurden vorab als Eingriffsgrund ausgeschlossen.
Im Ergebnis gab es einen Demozug, der sich eine Dreiviertelstunde langzog, ohne dass irgendwo Polizei zu sehen war. Die Deeskalationsstrategie der Polizei hat unter einem schwarz-roten Senat ihren Höhepunkt erreicht. Andererseits: Von der Militanz früherer Jahre ist auch nichts mehr übrig.
Vielfalt der Themen
Nur ein pro-palästinensischer Block lief später mit polizeilicher Begleitung, die nach einem Wurf von vereinzelten Gegenständen nahe an die Demonstrant:innen heranrückte. Erst ganz am Ende ging die Polizei dann doch noch in den Block, es kam zu Handgreiflichkeiten und vereinzelten Festnahmen. Per Auflagen waren zuvor bestimmte Parolen und Symbole im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost verboten worden.
Doch anders als im vergangenen Jahr war Palästina kein dominierendes Thema. Der Zug unterteilte sich in sechs wahrnehmbare inhaltliche Blöcke, zwischen denen sich tausende eher zufällig bewegten. Neben einem feministischen Block gab es auch einen der südamerikanischen Community des Bloque Latinoamericano und einen gegen den geplanten Bau eines Zaunes um den Görlitzer Park.
Erstmals seit Jahren beteiligte sich auch wieder ein Antifa-Block, mit etwa 300 Teilnehmer:innen, überwiegend vermummt und in schwarz. Im Vordergrund stand hier die Solidarität mit all jenen Antifaschist:innen, die etwa wegen mutmaßlicher Gewaltdelikte am Rande des faschistischen Tags der Ehre 2023 in Budapest derzeit in Gefängnissen sitzen. Über die ganze Demo wurde nicht nur hier immer wieder Pyrotechnik gezündet.
Gegen 21 Uhr erreichten dann auch die letzten Teilnehmer:innen wieder den Ausgangspunkt am Südstern. Ein überwiegend positives Fazit konnten dann alle ziehen: Die Demonstrierenden und die Polizei.