Ganz vorne, in der ersten Reihe, steht Gerd Dilg bei der Kundgebung des DBG zum 1. Mai am Augsburger Königsplatz in der warmen Mittagssonne. Er hält das Banner fest und lauscht den Worten von Hauptrednerin Sylvia Bühler. 1965, zu Beginn seiner Lehrzeit, ist er in die IG Metall eingetreten. So wie alle anderen damals auch. 37 Jahre lang hat Dilg bei Osram gearbeitet, er hat sich dort gewerkschaftlich engagiert und war Vertrauensmann für Schwerbehinderte. Der 1. Mai, das ist für ihn kein gewöhnlicher Feiertag, an dem man mal alle Fünfe gerade sein lassen kann. Davon zeugen die kleinen Pins an seinem roten Hut, die an Maikundgebungen in den 80er- und 90er-Jahren erinnern. Er ist für ihn ein „Kampftag“, um für die Rechte der Arbeitnehmer auf die Straße zu gehen. Deshalb steht er hier, auch 60 Jahre nach seinem Gewerkschaftseintritt noch. Auch wenn er mit 81 Jahren längst in Rente ist.
„Kampftag“ 1. Mai: Lautstarker Protestzug durch die Augsburger Innenstadt
Blickt man in die Reihen der rund 500 Demonstranten, die in einem lautstarken Zug vom Gewerkschaftshaus am Katzenstadel gekommen sind, dann sind unter ihnen nicht wenige Urgesteine wie Gerd Dilg. Männer und Frauen, die eigentlich längst im Ruhestand sind, aber immer noch für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auf die Straße gehen. Mit ihnen schwenken zwar auch zahlreiche junge Leute aus dem linken Spektrum die Fahnen. Doch der Mittelbau, sagt Gewerkschaftsurgestein Dilg, der fehle ein bisschen. „Das macht mich schon betroffen. Aber ich bin auch guter Hoffnung, dass es wieder aufwärts geht, weil wieder mehr junge Menschen kommen.“
Das ist eine Entwicklung, die auch die Augsburger DGB-Vorsitzende Silke Klos-Pöllinger zuversichtlich stimmt. Genauso wie die jüngsten Tarifrunden, etwa im öffentlichen Dienst oder in der Chemiebranche. Auf der anderen Seite, sagt sie, nehme die Zahl der tarifgebunden Beschäftigten in Deutschland kontinuierlich ab, liege nur noch bei 48 Prozent. Die Zahl der tarifgebundenen Betriebe sei mittlerweile gar auf 22 Prozent gesunken – noch einmal drei Prozent weniger als im Vorjahr. „Das muss uns als Gesellschaft große Sorgen machen.“ So sieht es auch Oberbürgermeisterin Eva Weber. „Es macht mich ein bisschen betroffen, wie wenig Menschen noch in Gewerkschaften gebunden sind“, sagt sie in ihrem Grußwort. Denn Arbeit, das bedeute mehr, als nur ein Gehalt zu bekommen. Das sei Teilhabe, Aufstieg und Weiterkommen. Und daran hätten die Gewerkschaften entscheidenden Anteil.
Demo heute: Gewerkschaften wollen Acht-Stunden-Tag verteidigen
Gerade in diesen unruhigen politischen Zeiten, sagt im Anschluss Hauptrednerin Sylvia Bühler, Mitglied des verdi-Bundesvorstands, tue es gut, sich unterzuhaken. Gegen den Rechtsruck im Land, aber auch gegen Versuche, die Rechte der Arbeitnehmer zu beschnitten. So wie die von einer schwarz-roten Koalition angedachten Änderungen des Arbeitszeitgesetzes. Kämen die wie geplant, seien tägliche Arbeitszeiten von bis zu 13 Stunden möglich. „Das macht krank“, ruft Bühler in die Menge. Deshalb werde man den 8-Stunden-Tag mit aller Macht verteidigen. Und dafür kämpfen, dass die Löhne zum Leben reichen. Zufrieden zeigte sich Bühler über das Investitionsprogramm, die Reform der Schuldenbremse und Pläne für ein Bundestariftreuegesetz. Dass es Gewerkschaften dringend brauche, liegt für sie auf der Hand. Nicht nur am 1. Mai, sondern das ganze Jahr über.
Am Nachmittag wurde es dann noch einmal laut in der Innenstadt. In einem weiteren Protestzug demonstrierten vornehmlich junge Menschen aus der linken Szene gegen Ausbeutung und Faschismus.