Der Kanzler Merz und seine europäischen Kumpels sind in Kiew für einen Gipfel zusammengekommen und haben Kremlchef Putin ein Ultimatum für ‘ne Waffenruhe gestellt. Sie schwören auf die Einheit mit den USA, aber die scheint direkt am nächsten Tag schon wieder zu wackeln.

Vor dem Marienpalast in Kiew wird der rote Teppich ausgerollt, während eine Reinigungskraft schnell darüber saugt, bevor die VIPs auftauchen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj (47) begrüßt Staats- und Regierungschefs in seiner Residenz. An diesem Samstagmorgen haben sich gleich vier davon angekündigt – darunter auch ein neuer, alter Bekannter: Friedrich Merz (CDU), der vor fast genau drei Jahren als erster deutscher Spitzenpolitiker nach dem russischen Überfall in der Ukraine war. Jetzt ist er als Bundeskanzler da – nur vier Tage nach Amtsantritt.

Merz ist nicht allein. Mit ihm im Sonderzug nach Kiew sind der französische Präsident Emmanuel Macron und der britische Premierminister Keir Starmer. Auch der polnische Ministerpräsident Donald Tusk ist dabei. Selenskyj wartet vor der türkisblauen Barockfassade des Marienpalastes auf die Gäste und blinzelt in die Morgensonne. Der Präsident trägt Schwarz und eine Art Uniformjacke mit Schulterklappen. Auf Anzüge will er bis zum Kriegsende verzichten. Bei seinem Besuch im Weißen Haus wurde ihm wegen seiner Kleidung mangelnder Respekt vorgeworfen, bevor es zum Eklat kam und US-Präsident Donald Trump ihn rausgeworfen hat.

Im Marienpalast ist Selenskyj der Gastgeber. Seine europäischen Besucher tragen Anzug und Krawatte, während sie aus ihren Wagen steigen. Anders als Trump sind sie ihm wohlgesonnen – sie sehen in ihm einen Helden. Merz ist einen Kopf größer als der Gastgeber, was der herzlichen Umarmung keinen Abbruch tut. Nach der Begrüßung kommen die Regierungschefs zu einem Gipfel der “Koalition der Willigen” zusammen, einem Zusammenschluss unter Führung Frankreichs und Großbritanniens, dem auch Deutschland und Polen sowie zahlreiche andere Staaten angehören. Die USA sind nicht Teil der Koalition, Selenskyj und seine Gäste telefonieren nach dem Treffen aber mit Trump, um ihn über die Ergebnisse zu informieren.

Im Zentrum steht ein Ultimatum an Kremlchef Wladimir Putin: Eine bedingungslose, mindestens 30 Tage währende Waffenruhe – und zwar ab Montag. Andernfalls sollen die Sanktionen gegen Russland verschärft werden. Bei einer Pressekonferenz zum Abschluss des Gipfels betonen Selenskyj und seine vier Amtskollegen ein ums andere Mal, dass Trump die Initiative unterstütze. In den vergangenen Monaten schien der US-Präsident zeitweise eher Partei für Putin ergriffen zu haben.

“Wir wissen, dass uns die Vereinigten Staaten von Amerika unterstützen”, betont Selenskyj nach dem Gipfel. Merz sagt, Trump stehe “voll und ganz” hinter den Forderungen. Starmer spricht von “absoluter Einheit” gerade auch mit Blick auf die USA. Tusk unterstreicht: “Zum ersten Mal seit langer Zeit haben wir das Gefühl, dass die gesamte freie Welt wirklich geeint ist.” Merz betont: “Wenn Russland sich diesem Waffenstillstand verweigert, ein Waffenstillstand, der die Grundlage für sofort beginnende Verhandlungen sein kann, dann werden wir die Ukraine weiter verteidigen, und wir werden den Druck auf Russland weiter erhöhen.” Die Verbündeten machen deutlich, dass sie Putin nicht trauen. Merz wirft dem Kremlchef vor, eine Waffenruhe verschleppen zu wollen. Starmer fordert von Putin: “Kein Wenn und Aber, keine Bedingungen und Verzögerungen.” Alle Regierungschefs betonen das eigentlich Selbstverständliche: Dass eine bedingungslose Waffenruhe Vorbedingungen ausschließt.

Putin geht nicht direkt auf Forderungen ein. Bedingungen hat Russland nämlich schon unmittelbar vor dem Treffen gestellt. Kremlsprecher Dmitri Peskow sagt dem US-Sender ABC, Voraussetzung für eine 30-tägige Feuerpause sei ein Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine. Auf die Sanktionsdrohungen reagiert Peskow im russischen Staatsfernsehen gelassen. “Uns mit Sanktionen Angst zu machen, läuft ins Leere.” Putin geht auf die Forderung nach einer längeren Waffenruhe nicht direkt ein, macht aber einen Gegenvorschlag: Er bietet der Ukraine die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen ab Donnerstag in Istanbul an. Der Kremlchef sagt in Moskau: “Diejenigen, die wirklich Frieden wollen, können nicht dagegen sein.”

Das klingt nach der Verzögerungstaktik, vor der die Verbündeten in Kiew gewarnt haben. Trotz dieser Befürchtungen spricht Merz nach dem Gipfel von einem “fast schon historischen Tag” – und er zeigt sich verhalten hoffnungsvoll. “Dies ist die größte diplomatische Initiative, die es in den letzten Monaten, wenn nicht Jahren gegeben hat, um den Krieg in der Ukraine zu beenden”, sagt er im ZDF. “Ich fahre mit dem Gefühl zurück, dass wir vielleicht eine kleine Chance haben.” Trump drängt die Ukraine zu Gesprächen.

Die in Kiew beschworene Einigkeit des Westens scheint allerdings kurz danach schon wieder zu bröckeln. Trump drängt die Ukraine am Sonntag auf seiner Plattform Truth Social, Gesprächen in der Türkei zuzustimmen – anders als Selenskyj und die europäischen Verbündeten besteht der Amerikaner aber nicht darauf, dass es erst eine Waffenruhe geben muss. Merz hat wenige Stunden zuvor noch betont: “Erst müssen die Waffen schweigen, dann können Gespräche beginnen.” Selenskyj ist auf den guten Willen Trumps angewiesen und kann sich nicht erlauben, von Putin als derjenige dargestellt zu werden, der Frieden verhindert. Also macht er gute Miene zum bösen Spiel. “Ich werde am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten, persönlich”, schreibt Selenskyj auf der Plattform X. Er betont am Sonntagabend aber auch, dass er weiter erwartet, “dass ab morgen ein vollständiger und dauerhafter Waffenstillstand eintritt, der die notwendige Grundlage für die Diplomatie schafft.”