Margot Friedländer, 103 Jahre alt, ist gestorben. Sie hat das Ghetto Theresienstadt, Zwangsarbeit und Hunger überlebt. Bis zu ihrem Tod setzte sie sich unermüdlich für die Erinnerung ein. Sie war immer da, bei Veranstaltungen zum Gedenken an die Shoa oder Solidaritätskonzerten. Selbst im biblischen Alter von 103 Jahren war sie präsent, freundlich und immer bereit, Hände zu schütteln. Berlin hat mit ihr seine wichtigste Zeitzeugin über die Verfolgung der Jüdinnen und Juden während des Nationalsozialismus verloren.
Man wusste sehr genau, dass ihre Präsenz nichts mit Eitelkeit zu tun hatte. Friedländer, eine öffentliche Person ohne Altersgrenze, hatte vor 80 Jahren als verfolgte Jüdin im Untergrund den Nazis widerstanden. Von Versteck zu Versteck eilend, immer in Lebensgefahr schwebend, wurde sie von der Gestapo entdeckt und deportiert. Sie überlebte das Ghetto Theresienstadt trotz schwerer Zwangsarbeit. Nach der Befreiung 1945 hat sie wie fast alle jüdischen Überlebenden Deutschland verlassen.
Seit 2010 war sie wieder in ihrer alten Heimatstadt Berlin. Doch nicht als pensionierte alte Dame, die ihre Nachmittage vor dem Fernseher verbrachte. Friedländer trat vor Schulklassen auf, erzählte von ihrem Leben im Versteck und vom Hunger in Theresienstadt. Diese Berichte waren ihr Verpflichtung, ein Dienst an der Sache der Gerechtigkeit.
Margot Friedländer hatte viel zu erzählen aus ihrem Leben. Doch um zu wirken, genügten schon wenige Worte aus ihrem Mund. Geboren als Anni Margot Bendheim in Berlin 1921, wuchs sie in einem gut bürgerlichen jüdischen Haushalt auf. Trotz der schrittweisen Verarmung der Familie durch die Nazis, konnte niemand ahnen, dass nur wenige Jahre später der Massenmord begann. Für eine junge jüdische Frau wie Margot gab es um 1935 bedrohliche Nazis, aber auch den Schulabschluss, die Ausbildung und den ersten Liebeskummer.
Das bürgerliche jüdische Leben im NS-Deutschland hatte keinen Bestand. Die Familie Bendheim verarmte, das Geschäft des Vaters wurde “arisiert”, und sie mussten in ein “Judenhaus” in Berlin-Kreuzberg ziehen. Erst zu spät erkannte die Mutter die Notwendigkeit einer Emigration. Doch kurz vor dem Ausbruch des Krieges war kaum ein Land bereit, verfolgte Juden aufzunehmen.
Am 20. Januar 1943 wurde Margots Bruder von der Gestapo abgeholt. Die Mutter gab ihre Pläne für ein Leben im Untergrund auf und stellte sich. Margot musste fluchtartig die Wohnung verlassen, sich die Haare rot färben und immer wieder neue Verstecke finden. Nach ihrer Deportation im Mai 1944 überlebte sie das Ghetto Theresienstadt und erlebte die Befreiung gemeinsam mit einem anderen Gefangenen namens Adolf Friedländer.
Nach dem Krieg verbrachte sie 64 Jahre in New York, arbeitete als Reiseagentin und Schneiderin, erhielt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. 2008 kehrte sie im Alter von 89 Jahren nach Berlin zurück, um die dritte und vierte Generation zu erreichen und zu zeigen, dass es nie wieder geschehen darf.
Margot Friedländer war eine der letzten Überlebenden, die untergetaucht im NS-Reich zu überleben versuchten und davon zu berichten wussten. Ihr Engagement wurde mit dem Bundesverdienstkreuz an Bande und erster Klasse, der Ehrendoktorwürde der FU Berlin und weiteren Auszeichnungen gewürdigt. Die Stadt Berlin ist stolz auf sie.