Karrierepause für die Pflege der Eltern: Erfahrungen einer Top-Managerin

Vera Schneevoigt, eine Spitzenmanagerin in den besten Jahren, spürt, dass sie so nicht mehr weitermachen will. Als erfahrene Führungskraft war es ihr stets ein Leichtes, Probleme zu lösen und in Krisensituationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch diesmal ist alles anders. Es geht nicht um das Geschäft, sondern um die Familie. Mitte 50 beschließt sie, ihr Leben radikal zu verändern.

Die Corona-Pandemie, mit ihren Lockdowns und dem verstärkten Homeoffice, hat den Alltag entschleunigt und Vera Schneevoigt vor Augen geführt, dass die Zeit begrenzt ist. Sie möchte nun für ihre Eltern und Schwiegereltern da sein und trifft eine mutige Entscheidung. Nach Jahren bei Siemens und der Leitung des Fujitsu-Standorts in Augsburg, der letzten Computer-Fabrik Deutschlands, kündigt sie ihren Job bei Bosch.

Die Herausforderungen, vor denen Schneevoigt steht, sind keineswegs ein Einzelfall. Hunderttausende Familien sehen sich mit ähnlichen Situationen konfrontiert, überfordert von der Pflegebedürftigkeit ihrer Angehörigen. Die Frage nach der Bewältigung der Pflege zu Hause und der Unterstützung durch den Staat drängt sich auf. Oft müssen Angehörige monatelang auf einen Platz in einer Pflegeeinrichtung warten. In einer Gesellschaft, die das Altwerden und die eigenen Grenzen nicht gerne thematisiert, fühlen sich viele alleingelassen.

### Pflegende Angehörige fühlen sich oft alleingelassen

Die Überforderung, die viele pflegende Angehörige erleben, kommt nicht nur von der plötzlichen Veränderung, sondern auch von den Ängsten und Sorgen um ihre geliebten Menschen. Vera Schneevoigt ist sich bewusst, dass nicht alle so radikal umsteuern können wie sie. Daher setzt sie sich dafür ein, dass Politiker und Unternehmen den unschätzbaren Wert dieses sozialen Engagements erkennen. Die unbezahlte Pflege zu Hause ist eine immense Wirtschaftsleistung, die das Gesundheitssystem finanziell und personell enorm entlastet.

Wenige Monate nach ihrem Entschluss verlässt Schneevoigt Bayern und zieht mit ihrem Mann in die Eifel, um näher bei ihren Eltern zu sein. Sie reduziert schrittweise ihre Arbeitszeit, bis sie schließlich ganz aus ihrem alten Leben aussteigt. Der Alltag ihrer Eltern und Schwiegereltern, der sich in den vergangenen Jahren ständig improvisiert hat, wird für sie und ihren Mann zur Realität. Arztbesuche, plötzliche Krankenhausaufenthalte, Alltagsaufgaben und die Erkenntnis, was nicht mehr möglich ist, bestimmen nun ihren Tagesablauf.

Schneevoigt lernt ihre Eltern und Schwiegereltern noch einmal neu kennen, in ihrer Dankbarkeit, aber auch in ihrer Zerbrechlichkeit. Die Offenheit, mit der ihre Eltern schon früh über mögliche Unterstützung und Veränderungen im Haus gesprochen haben, ist für Schneevoigt von unschätzbarem Wert.

### “Pflegezeit müsste so selbstverständlich werden wie Elternzeit”

Vera Schneevoigt betont die Wichtigkeit, sich frühzeitig mit dem Thema Pflege auseinanderzusetzen. Sie appelliert an die Politik und die Arbeitgeber, Angehörige gezielt zu unterstützen und aus der gesellschaftlichen „Dunkelkammer“ zu holen. Die Selbstverständlichkeit, die wir bei der Elternzeit haben, sollte auch für die Pflegezeit gelten.

Für Unternehmen geht es nicht nur um zufriedene Mitarbeiter, sondern auch darum, dass diese an ihren Herausforderungen wachsen und dies positiv auf die Arbeitsleistung zurückwirken kann. Schneevoigt, heute als Beraterin und Coach tätig, weiß aus eigener Erfahrung, wie wichtig Wertschätzung und Unterstützung in dieser Zeit sind.

In Bayern existiert seit 2018 das Landespflegegeld, das Hilfsbedürftigen unabhängig von der Pflegeform zusteht. Dennoch wünscht sich Schneevoigt noch mehr Förderung, um die Entscheidung, sich um die eigenen Angehörigen zu kümmern, finanziell zu erleichtern.

Nach dem Verlust ihres Schwiegervaters und unerwartet auch ihrer Mutter, erlebt Schneevoigt eine neue Situation. Die Pflege ihres demenzkranken Vaters und die Unterstützung ihrer Schwiegermutter erfordern viel Zeit und Engagement. Doch sie ist dankbar dafür, dass sie sich ganz auf diese Aufgabe einlassen konnte, um ihren Liebsten beizustehen.