Beinahe jedes Wochenende versinkt Słubice im Stau. Die Kleinstadt ist direkt an der deutsch-polnischen Grenze, gleich gegenüber liegt Frankfurt (Oder). Morgens nach Deutschland zur Arbeit fahren oder nachmittags nach Polen essen gehen ist eigentlich Alltag in der Grenzregion. Doch seit Deutschland im Oktober 2023 wieder Grenzkontrollen eingeführt hat, staut sich der Verkehr auf der polnischen Seite. „Es geht so nicht weiter. Die Bewohner können öfter nicht nach Hause kommen, weil die Straßen so verstopft sind“, schimpft eine Bewohnerin in einem RBB-Beitrag.
Grenzkontrollen in Europa – es klingt und fühlt sich an wie ein Rückschritt in eine längst überwunden geglaubte Zeit nationalstaatlicher Eigenbrötlerei. Dieses Gefühl, kommt nicht nur in polnischen Grenzstädten auf, sondern verdichtet sich durch die Schocks und Krisen der letzten Jahre: der Handelskrieg zwischen den USA und China, die zeitweise totale Isolation während der Coronapandemie, dann Russlands Überfall auf die Ukraine oder zuletzt Donald Trumps Sonderzölle auf Stahl und Aluminium.
Dabei galt es lange als natürlicher Lauf der Dinge, dass die Welt immer vernetzter, entgrenzter, kapitalistischer und schneller wird. Ob zuletzt Trumps erneuter Wahlsieg oder schon die Finanzkrise 2008, seit Jahren stellen Wirtschäftsexpert:innen immer wieder fest: Das Ende der Globalisierung sei gekommen.
**McDonald’s in der späten Sowjetunion**
Eine kleine historische Anekdote auf der Suche nach Antworten. Moskau, 31. Januar 1990: Seit den frühen Morgenstunden versammeln sich Tausende Menschen auf dem Puschkinplatz, um einem historischen Ereignis beizuwohnen – der Eröffnung der ersten McDonald’s-Filiale in der Sowjetunion. Der Andrang ist enorm, mit 30.000 Kund:innen am Ende des Tages wird es die bis dato größte Restauranteröffnung der Geschichte sein. Auch der vergleichsweise hohe Preis, der einem halben Tageslohn für eine Mahlzeit entsprach, konnte die Begeisterung für die amerikanische Fastfoodkette nicht brechen. „Wir sind alle hungrig in dieser Stadt“, sagt eine junge Moskauerin in einem Fernsehbeitrag des kanadischen Senders CBC. „Wir brauchen mehr solcher Orte. Es gibt nichts in unseren Läden oder Restaurants.“
Nach Jahren des Mangels, der Abschottung und politischen Stagnation wirkte die Ankunft von McDonald’s wie ein erster Schritt in eine neue bessere Zukunft. Das gelbe M mit den geschwungenen Bögen stand dabei stellvertretend für eine scheinbar unaufhaltsame Entwicklung, die versprach, die gesamte Welt grundlegend zu verändern.
**Verbreitete Definitionen und eine neue Erzählung**
Verbreitete Definitionen fokussieren sich vor allem auf den wirtschaftlichen Aspekt von Globalisierung. Technologische Entwicklungen in Kommunikation und Transport machten günstigen und schnellen Handel von Rohstoffen, Waren und Dienstleistungen in großem Maßstab möglich. Weltweite Märkte entstanden, Produzent:innen konkurrierten und kooperierten über nationale Grenzen hinweg.
Folgt man diesem überwiegend wirtschaftlichen Verständnis, ist die These vom baldigen Ende der Globalisierung schwer haltbar. Trotz kurzzeitiger Einbrüche während der Finanzkrise 2007/8 und der Coronapandemie nahm das weltweite Außenhandelsvolumen weiter zu. Auch der KOF-Globalisierungsindex der Universität Zürich, der noch eine Vielzahl weiterer Variablen berücksichtigt, kann zwar eine Verlangsamung, aber insgesamt keine Trendwende zu einem Rückgang weltweiter Vernetzung feststellen. Im letzten analysierten Jahr, 2022, verzeichneten die Forscher:innen wieder einen starken Zuwachs des internationalen Warenhandels.
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Das Beispiel McDonald’s zeigt, dass Globalisierung schon immer mehr war als nur eine nüchterne Beschreibung ökonomischer Trends. Sie war über 30 Jahre lang die dominante Zukunftserzählung und galt als treibende Kraft der Geschichte. Verbunden damit waren zahlreiche Vorhersagen, wie sich unsere Gesellschaft sozial, kulturell und politisch entwickelt.
McDonald’s war nicht nur eines der stärksten Symbole dieser Entwicklung, sondern auch ein Gradmesser. Noch heute ist die Zahl der McDonald’s-Filialen als eine der Variablen im KOF-Index enthalten.
Für jedes der Versprechen der Globalisierung gab es etliche wissenschaftliche Theorien, die sie untermauern sollten. Ökonomen predigten, dass der Abbau von Zöllen und Handelsbarrieren Milliarden Menschen aus der Armut heben werde. Kriege würden sich einfach nicht mehr lohnen, da die Weltwirtschaft so eng verflochten sei. Grenzen, ja sogar Nationalstaaten würden bald zu Relikten der Vergangenheit, lautete eine populäre These, die Politikwissenschaftler:innen um die Jahrtausendwende noch ernsthaft diskutierten.