Kostenfrei bis 16:43 Uhr lesenPremiere in KielKostenpflichtigKostenpflichtigBildmächtig und überdeutlich: Arthur Millers „Hexenjagd“ am Kieler Schauspiel
Es gibt großformatige Bilder, ein gut getuntes Ensemble und ein spannendes Stück, bei dem jeder selbst entscheiden kann, wieviel Gegenwart er herausliest. So feierte am Kieler Schauspiel „Hexenjagd“ Premiere.
Kiel. Harmloses Spiel oder Geisterbeschwörung – ganz sicher kann man sich nicht sein, was die Mädchen treibt, die auf der Bühne im Kieler Schauspiel tanzen und tollen. Unbefangen, entfesselt, aber auch gefangen im Ritual. Ausbruch aus der Kindheit? Aus einer von Glaubensregeln streng geordneten Welt? Für den Kirchenmann, der auf der Suche nach der Tochter unversehens hereinstolpert, ist es ein Bild des Teufels.
Arthur Millers düsteres Drama „Hexenjagd“ (1953) bleibt die Szene, die eine immer weitere Kreise ziehende Hatz auf Andersdenkende in Gang setzt, Erzählung, Gerücht. In der Inszenierung von Jana Milena Polasek am Kieler Schauspiel setzt sie gleich zu Beginn den Ton: hysterisiert, getrieben, mythisch. Geschichte von Fanatismus und Eifersucht
Es ist eine verstörende Geschichte, die 1692 in Neuengland ein ganzes Dorf in religiöse Hysterie versetzte und die Bevölkerung per Verhaftung und Hinrichtung bald so dezimiert hatte, dass elternlose Kinder und verwahrlostes Vieh durch die Straßen irrten. Miller hat die historisch belegten Ereignisse verarbeitet – mit unmittelbarem Blick auf die damalige Kommunistenjagd in den USA. Um das Eifersuchtsdrama um John Proctor, seine Frau und das Mädchen Abigail hat der Autor sie zur Parabel gemacht für eine Gesellschaft, die sich in Fanatismus und Intoleranz selbst zerstört.
Bühnenbildnerin Anna Bergemann hat dafür ein geschlossenes System entworfen, aus mächtigen Rahmen und gestaffelten Podesten. Ein Konstrukt, das Hierarchien aufmacht und den Akteuren Hindernisse in den Weg stellt. Kanzel, Gerichtssaal, Gefängnis, Opferstein – alles ist möglich in dieser gespenstischen Ortlosigkeit.„Hexenjagd“ als bildmächtiges Spiel Alles wird auch gebraucht in dem perfiden Spiel, das Jana Polasek bildmächtig entfaltet. Man sieht, wie eine im Machtwillen erstarrte Obrigkeit aus Pastoren und Richtern eine Dorfgesellschaft vor Gericht stellt, ihnen in bohrender Gewissensausforschung irre Geständnisse entlockt. Und dabei allein auf die Bestätigung der eigenen vorgefertigten Überzeugungen lauert.
Nikolaus Okonkwo gelingt als Richter Danforth die satte Satire des machtgeilen Politikers. Imanuel Humm gibt Pastor Parris als den religiösen Eiferer. Und Mischa Warken kann den Exorzisten Hale am wachsenden Selbstzweifel läutern. Im Einheitslook (Kostüme: Carolin Quirmbach) aus weichgespülter Sportswear zeigen sie deutlich Sekten-Appeal.
Die Regisseurin postiert das Ensemble in klar geordnete Tableaus, macht Fronten auf und sucht in sorgfältiger Personenregie spürbar nach den Beweggründen der Figuren, nach dem Schlüssel zum so einfach wie unmöglich aufzulösenden Verhängnis. Wie verkapselt stehen da die Dörfler auf der Bühne, jeder sein eigener Schrein. Und die Mädchen (Claudia Friebel, Eva Kewer, Tiffany Köberich) um Abigail sieht man sich halb lust-, halb angstvoll zwischen Ent- und Beschuldigung verzetteln. Gnadenlos, wie Rebekka Wurst dazu ihre Abi vom Glück der ersten Liebe zur Rächerin mutieren lässt.
Im wachsenden Getümmel, überhitzten Szenen von besessenen Mädchen und einer mit mächtig Furor zelebrierten Übersinnlichkeitsshow vor Gericht ragen die konzentrierten Auftritte der Proctors heraus. Rudi Hindenburgs John ein brüchiger Allerweltstyp, der mit den eigenen Dämonen schon genug zu tun hat – und das Dilemma Tod oder Lüge sehenswert auf die Spitze treibt. Isabel Baumerts Elisabeth ist daneben nicht nur Ruhepol, sondern auch eine, die sagt, was sie denkt – und in den Anwürfen gegen Rivalin Abi auch ihre dunkle Seite andeutet. Immer wieder baut sich über die zweieinhalb Stunden des Abends atemlose Spannung auf – aber auch ein zum Überdeutlichen neigender Spielduktus. So entgeht die Inszenierung im Bemühen, wirklich allem auf den Grund zu gehen, auch nicht der Gefahr, dass die monströsen Sätze, das Irrwitzig-Absurde der Befragungen, in denen jede Antwort nur der Bestätigung vorhandener Verdächtigung dient, unfreiwillige Komik entfalten. Wieviel Gegenwart er oder sie am Ende aus all dem herausliest, das kann hier jeder selbst entscheiden.
Schauspielhaus Kiel. Vorstellungen: 17., 25., 31. Mai, 5., 6., 11., 18., 20. Juni. Kartentel. 0431/901901
Vielleicht verstehst du nicht wirklich, warum das wichtig ist, aber hey, hier ist eine Neuinterpretation von Arthur Millers „Hexenjagd“ in Kiel. Die Inszenierung von Jana Milena Polasek am Kieler Schauspiel hat großformatige Bilder, ein gut abgestimmtes Ensemble und ein spannendes Stück präsentiert, bei dem jeder selbst entscheiden kann, wie viel Aktualität er herausliest. Die Darsteller werden in klaren Tableaus positioniert, Fronten werden aufgebaut, und in einer sorgfältigen Personenregie wird nach den Beweggründen der Figuren gesucht – alles in dem Versuch, die tiefe Tragik zu verstehen, die in dieser Geschichte steckt.
Es ist eine verstörende Geschichte, die sich um religiöse Hysterie, Fanatismus und Eifersucht dreht und die eine Dorfgemeinschaft in den Abgrund reißt. Die Inszenierung entfaltet ein perfides Spiel, in dem eine erstarrte Obrigkeit aus Pastoren und Richtern die Bewohner des Dorfes vor Gericht stellt und durch Gewissensprüfungen erzwungene Geständnisse erhält. Doch Vorsicht, in dem Bemühen, wirklich alles zu erklären, besteht die Gefahr, dass die monströsen Sätze und absurd wirkenden Befragungen unfreiwillig komisch werden. Am Ende bleibt es jedem selbst überlassen, wie viel Aktualität er aus dieser Inszenierung herausliest.