NS-Experte kritisiert Antisemitismus-Resolution des Bundestags: „Wissenschaftsfremd und wissenschaftsfeindlich“
Am Mittwoch verabschiedete der Bundestag eine Resolution zur Stärkung des Kampfes gegen Antisemitismus an Universitäten. Diese Maßnahme, so Historiker Ulrich Herbert, greife jedoch die Wissenschaftsfreiheit an.
In einem Interview mit der taz äußerte sich Herbert besorgt über die Resolution und die Definition von Antisemitismus, die maßgeblich von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) stammen soll. Er betonte, dass die IHRA-Definition von vielen jüdischen und israelischen Intellektuellen sowie Menschenrechtsorganisationen kritisiert wurde. Die Festlegung dieser Definition als verbindlich für Forschung und Lehre an Universitäten sei aus seiner Sicht wissenschaftsfremd und wissenschaftsfeindlich.
Unter dem Vorwand, israelbezogenen Antisemitismus zu bekämpfen, könnten laut Herbert auch kritische Stimmen zur Politik Israels unter Druck geraten. Er verwies auf die Gefahr, dass Dozenten und Dozentinnen, die sich für Boykottmaßnahmen gegen Israel aussprechen, Sanktionen befürchten müssten. Die Resolution des Bundestags sei zwar nur eine Absichtserklärung, jedoch könne sie Universitätsleitungen und Wissenschaftsministern Legitimation bieten, unliebsame Meinungen zu unterdrücken.
In Bezug auf die Komplexität des Nahostkonflikts betonte Herbert, dass die Verwendung von Begriffen wie Antisemitismus, Rassismus oder Kolonialismus nicht zur Lösung des Konflikts beitrage. Er warnte vor einer Vereinfachung der Debatte und betonte, dass die komplexe Realität des Konflikts nicht durch derartige Begriffe erfasst werden könne.
Als Experte für Holocaust und Antisemitismus hob Herbert hervor, dass es im Laufe der Zeit verschiedene Bedeutungsverschiebungen im Umgang der Bundesrepublik mit der NS-Zeit gegeben habe. Er verwies auf aktuelle Entwicklungen, bei denen rechtsradikale Gruppierungen die Pro-Israel-Haltung nutzen, um Kritiker der Netanjahu-Regierung als Antisemiten zu diffamieren.
Abschließend betonte Herbert die Bedeutung unabhängiger und kritischer Berichterstattung, wie sie von der taz geleistet wird. Als Genossenschaft gehört die taz ihren Leser:innen und finanziert sich durch Unterstützung. Mit einem Appell zur Unterstützung des unabhängigen Journalismus schloss Herbert das Interview.
Die Diskussion um die Antisemitismus-Resolution des Bundestags und ihre Auswirkungen auf die Wissenschaftsfreiheit wird weiterhin kontrovers geführt. Experten wie Ulrich Herbert mahnen jedoch zur Vorsicht und betonen die Bedeutung einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema.