ARD-Kultursendung ttt ohne Thilo Mischke: Personalie mit Folgen

Analyse | Berlin · Nach Sexismusvorwürfen wird Thilo Mischke nun doch nicht Moderator von „Titel, Thesen, Temperamente“. Der Umgang der ARD mit dem Fall zeigt allerdings ein strukturelles Problem.

Im Grunde hat Thilo Mischke es selbst vorausgesagt. Als das Medienmagazin „turi2“ den Autor und Reporter im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 fragte, ob er sich als SPD-Mitglied nicht vorstellen könnte, selbst in die Politik zu gehen, antwortete er: „Wenn ich mich dazu entscheide, wie oft muss ich mich dann bitte für das Buch ,In 80 Frauen um die Welt‘ rechtfertigen?“ Es sei vollkommen richtig, dass er das tun müsse für jenes Werk von 2010, für das er als Wetteinsatz zur Recherche in sämtlichen Ländern mit Frauen geschlafen hat. „Aber das wird dann wahrscheinlich immer wieder aus der Kiste geholt“, so Mischke einst.

Die Kehrtwende

Nun ging es nicht um eine Kanzlerkandidatur, wohl aber um ein gewissermaßen hochpolitisches Amt der Kultur und Medienszene, für das der 43-Jährige vorgesehen war. Kurz vor Weihnachten hatte die ARD verkündet, dass er „der Neue bei ttt“ sei, also Max Moor nach 17 Jahren als Moderator von „Titel, Thesen, Temperamente“ an der Seite der Duisburgerin Siham El-Maimouni ablöst. Keine drei Wochen später dann die Kehrtwende: Thilo Mischke bekomme den Job doch nicht, hieß es am Samstagnachmittag von der ARD.

Die Kritik

Es passierte zögerlich, wortkarg und auf massiven Druck hin. In einem Brief prangerten hundert Kulturschaffende, darunter Prominente wie Autor Sasa Stanisic, die Personalie an, stellten klar, jede Zusammenarbeit mit dem Magazin zu verweigern, und forderten die Abberufung des Moderators noch vor der ersten Sendung 2025. Seine sexistischen, rassistischen, diskriminierenden Aussagen in der Vergangenheit machten Mischke ungeeignet für ein Format, das immer auch sensible gesellschaftliche Themen behandle, so die Kritik.

Reflexion und Ausblick

Frauenfeindlichkeit muss als Frauenfeindlichkeit erkannt und vor allem benannt werden – am besten von Menschen, die über sensible Personalien entscheiden. Kommt fundierte Kritik von außen, in diesem Fall schließlich sogar solide belegt und ausführlichst begründet, müssen Verantwortliche vor allem eines: sich selbst hinterfragen. Ist die Entscheidung ausreichend diskutiert, sind die Umstände vorher recherchiert worden? Sind Bedenken bewusst ignoriert worden? Keine der Varianten wirft ein gutes Licht auf die Beteiligten. Den öffentlichen Diskurs als zu hitzig, übereilt und die Debattenkultur für problematisch zu erklären, wie es ARD-Programmdirektorin Christine Strobl in Interviews tut, ist zu kurz gedacht.

Statt Kritik zu hören und anzunehmen, wie es die Sendeanstalt zunächst in sozialen Medien versprach, sollte man sie eben nicht in den Bereich „Hexenjagd“ oder „Cancel Culture“ umdeuten. Es geht nicht um den Charakter eines Einzelnen, von dem es im Zweifel sehr viele gibt. Es geht darum, ein Klima der Aufgeklärtheit und Raum zu schaffen für das Bewusstsein: Frauen- oder Menschenverachtendes hat in der Gesellschaft keinen Platz.