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Also, Rumänien wählt am Sonntag seinen Präsidenten. Der extrem rechte Kandidat George Simion hat gute Chancen. Vier Einblicke in ein Land am Scheideweg.

Auf dem Landmarkt
Clotilde Armand lächelt charmant über den Ärger hinweg. „Ich werde Simion wählen“, ruft ein Mann ihr hinterher, ein anderer murmelt Beschimpfungen und wendet sich ab. Für Armand ist der Landmarkt von Călugăreni, knapp eine Autostunde südlich von Rumäniens Hauptstadt Bukarest, kein Heimspiel. Inmitten der Stände mit Gemüse, Hühnerkäfigen und Emailletöpfen bemüht sie sich um Wahlkampf. Es geht um viel: um Rumäniens Zukunft und vielleicht sogar um die Zukunft Europas.

Es ist Sonntagfrüh, genau eine Woche vor der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl. Die Politikerin Armand wirbt für den proeuropäischen Kandidaten Nicușor Dan. In der ländlich geprägten Region der Großen Walachei ist das nicht einfach. Die Mehrheit unterstützt hier den rechtsextremen George Simion. Armand zielt auf die Unentschlossenen. „Wir müssen Präsenz zeigen“, sagt sie.

Auf dem Markt gibt es alles: gebrauchte Radios, neue Kettensägen, Honig, Kohlrabi, Setzlinge, Bettwäsche, Pferdegeschirr, Kaninchen und weiße Tauben in Drahtkäfigen. Ein Mann mit sonnengegerbtem Gesicht führt ein Blechgerät vor, das Zaunpfähle leichter in den Boden rammt. Über allem wabern Rauchschwaden von Grillständen, auf denen Männer mit dicken Oberarmen Bratwürstchen und Mici umdrehen, die rumänischen Hackfleischröllchen.

Armand schiebt sich mit zwei Dutzend Helferinnen und Helfern durch die Reihen zwischen den Ständen. Die meisten kommen wie sie von der neoliberalen Partei USR. Manche tragen weiße Kappen, einige dazu noch Leibchen, auf denen sie für die Präsidentschaft Nicușors werben. Nicușor, das heißt „kleiner Nick“ und viele nennen ihn dieser Tage nur bei diesem Vornamen. Im Vorbeigehen drückt die Truppe jedem, der sich nicht wehrt, einen Faltflyer in die Hand. „Ein Präsident für alle Rumänen“, heißt es darin. „Wir sehen uns am 18. Mai bei der Abstimmung.“

Viele Rumäninnen und Rumänen blicken dem Sonntag mit Sorge entgegen. Das Land ist von politischen Krisen geschüttelt. Im November hatte der rechtsextreme Verschwörungsideologe Călin Georgescu die Präsidentschaftswahl gewonnen. Wegen Unregelmäßigkeiten bei der Wahlkampffinanzierung und Verdacht auf russische Einflussnahme annullierten die Behörden die Wahl und schlossen Georgescu aus.

In der nun wiederholten Wahl holte in der ersten Runde am 4. Mai der rechtsextreme George Simion von der Partei AUR mit 41 Prozent die deutliche Mehrheit der Stimmen. Er steht zu Georgescu und kündigte an, ihn im Fall eines Sieges zum Ministerpräsidenten zu ernennen. Denn die aktuelle Regierungskoalition ist zerbrochen. Einen Tag nach der ersten Wahlrunde erklärte der sozialdemokratische Ministerpräsident Marcel Ciolacu wegen des schlechten Abschneidens des Kandidaten seiner Partei den Rücktritt.

Zweitplatzierter wurde statt eines Sozialdemokraten mit 21 Prozent der parteilose Nicușor Dan. Der Bürgermeister von Bukarest gründete einst die neoliberale USR, die mehr Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung fordert und rechts der Mitte steht. Dan verließ die Partei 2017, nachdem sie sich gegen ein homophobes Referendum stellte, das die Ehe als Beziehung aus Mann und Frau in die Verfassung meißeln wollte.

Trotzdem gilt er nun auch für Linke und Progressive als letzte Hoffnung.

Für den „kleinen Nick“: Clotilde Armand wirbt auf dem Markt in Călugăreni für den Pro-EU-Kandidaten Nicușor Dan

Foto: Jean-Philipp Baeck

Dan und Simion treten am 18. Mai in der Stichwahl gegeneinander an. Umfragen sehen Simion vorn. In Rumänien bestimmt der Präsident die Außen- und Sicherheitspolitik. Gewinnt Simion, fürchten viele eine Abkehr vom Westen. Nach Viktor Orbán in Ungarn und Robert Fico in der Slowakei droht mit ihm Rumänien zu einem weiteren Land zu werden, das die Unterstützung der Ukraine infrage stellt, mit dem Nato-Bündnis fremdelt und statt einer föderalistischen EU ein nationalistisches „Europa souveräner Vaterländer“ anstrebt.

An den Marktständen von Călugăreni scheinen Brüssel, Washington und Moskau weit weg zu sein. „Die Busse fahren nicht“, klagt ein Händler, als Armand an seinen Stand tritt. Außenpolitik spielt auch auf dem Wahlflyer für Nicușor Dan keine Rolle. Sehr wohl aber, dass er seit über 20 Jahren gegen Korruption kämpfe. „Ich wurde in einem Viertel am Rande einer Kleinstadt in eine Familie einfacher Leute hineingeboren“, stellt er sich vor. Von seiner Promotion in Mathematik an der Sorbonne in Paris liest man nichts.

Schon im ersten Anlauf der Präsidentschaftswahl ging es mehr um Frust als um konkrete politische Vorhaben. Die Wahlen galten als Abstrafung der etablierten Regierungsparteien, die pseudosozialdemokratische PSD und die nationalliberale PNL, die für viele eine korrupte Machtelite sind.

Simion, ein 38-jähriger ehemaliger Fußball­hooligan, der Trump und Milei seine Vorbilder nennt, beleidigt politische Gegner, schimpft über „politisches Parasitentum“ und „Globalisten“, eine antisemitische Chiffre. Der 55-jährige Dan mit seinem nüchternen technischen Stil hat es dagegen schwer.

Auch Armand wirkt auf dem Markt nicht wie ein Fisch im Wasser. Sie sticht heraus. Die 51-Jährige ist einen halben Kopf größer als die meisten hier, trägt ein rotes Oberteil und Dr.-Martens-Stiefel. In Rumänien ist sie keine Unbekannte: Die französisch-rumänische Unternehmerin zog für die USR 2019 ins Europaparlament, bevor sie 2020 Bürgermeisterin des reichen Bezirks Sektor 1 von Bukarest wurde.

Ihre Amtszeit war von Skandälchen geprägt. Alle Seiten erhoben irgendwann Vorwürfe der Wahlmanipulation, ein Gebührenstreit mit dem Abfallunternehmen führte zu einem Müllchaos. Im Jahr 2024 warf die Staatsanwaltschaft ihr Vorteilsnahme vor, weil sie sich selbst zur Leiterin eines EU-geförderten Antikorruptionsprojekts ernannte und Zulagen kassierte. Armand erklärt, alles sei rechtens gewesen und der ganze Prozess politisch motiviert. Für den rechtsextremen Simion reichte das, um sie in einem TV-Duell mit Dan namentlich zu erwähnen und zu versuchen, ihn damit zu beschädigen.

„Clotilde Armand“ flüstert eine Frau auf dem Markt, als sie an ihr vorbeigeht, „Clotilde Armand“, brummt auch ein Mann, der Säcke mit Getreide aus seinem Kofferraum anbietet. Längst nicht alle reagieren missmutig. Ein Verkäufer lädt sie ein, Schafskäse zu probieren, und schält mit einem Messer eine Kante aus einem Käselaib. Ein kurzer Plausch, ein Lächeln, Armand kauft noch einen Salat und zieht weiter. Ein Mann in schwarzem Trainingsanzug bittet sie um ein Selfie. Fast wirkt es, als wäre sie in eigener Sache unterwegs. Dass sie eigens aus der Hauptstadt in die Provinz gereist ist, findet Anerkennung.

Auf dem Boulevard
Die soziale Schere zwischen der Millionenmetropole und dem Land ist enorm. In Bukarest locken französische Patisserien mit Tarte au citron und kostenlosem WLAN, während in Călugăreni und anderswo Pferdewagen zum Straßenbild gehören. 32 Prozent der Bevölkerung lebt an der Armutsgrenze, ein Viertel hat kein fließendes Wasser im Haus. Am schlechtesten geht es den Roma.

Gleichzeitig hat sich Rumänien im Zuge der EU-Mitgliedschaft seit 2007 stark entwickelt, sowohl wirtschaftlich als auch in Sachen bürgerlicher Freiheiten.

Am Freitag versammelten sich im Zentrum von Bukarest Zehntausende auf dem Platz nahe der Universität. Sie fürchten um die Errungenschaften der letzten Jahrzehnte. Mit Europa- und rumänischen Fahnen zogen sie zum Regierungsgebäude. Offiziell fand die Demo anlässlich des „Europatags“ statt, doch allen war klar, worum es eigentlich ging.

In Umfragen zeigt sich Rumänien mit rund 70 Prozent Zustimmung zur EU als eines der europafreundlichsten Länder. Doch bei der Präsidentschaftswahl spiegelt sich das nicht wider – womöglich auch, weil die sozialdemokratische PSD sich weigert, ihren langjährigen Kritiker Nicușor Dan offiziell zu unterstützen. Einige in der Partei erwägen wohl hinter vorgehaltener Hand eine mögliche Zusammenarbeit mit Simions Partei AUR.

Dass die Großdemonstration in Bukarest tatsächlich kein Konsensevent war, zeigte sich vorher schon in den sozialen Medien. „Es gibt nur einen Weg: Europa zerstören, um nicht der Vasall von äußeren Mächten zu sein“, schreibt ein Mann unter der Ankündigung für die Demo. Andere sprechen von Gehirnwäsche durch die Medien und beschimpfen die Veranstalter in antisemitischer Konnotation als „Sorosisten“ oder „Diener giftiger Eliten“. Europa sei eine Geißel und alles habe im Jahr 2015 mit der Flüchtlingskrise begonnen.